Die Melancholie einer ländlichen Idylle

Die Mädchen sind frühreife, sonnenpolierte Nymphen, ein sanfter Splitter im Granit, der den Härtegrad verdirbt. Durch ihr rätselhaftes Fangen-Spiel wetteifern sie mit den Blumen der Lüfte, den Schmetterlingen; sie fassen sich an den luftdurchfluteten Blütenkleidern, klirrend ihr Lachen, die Zeit verwelkt. Heute sind sie jedermännisch, ihrer früheren Geheimnisse beraubt, doch damals konnte man ihre lunare Stimmung erhaschen. Jede von ihnen eine potentielle Jägerin der Nacht, vor Mitternacht zu Bett getragen, um im Traum zu verpuppen. Der Sommer trägt die Gelüste vorwärts, im Frühling versprochen, im Herbst entspannt genossen. Das erste Regen der Exogamie.

Sie schwangen am Baum vor dem Haus : Mone. Und Katjanka, die sich mit ihrem nachtschwarzen Haar, in dem sich verschiedene Blumen gut ausmachten, besonders für Indianerspiele eignete. Das Besondere an diesen fallenden seidenschimmernden Garnen war, daß man Konraden und Zimbelkraut damit festzurren konnte. Diese Art des Blumenbindens verkürzte ihre Frisur zunehmend, vom verhangenen Gesicht zur Windschnittigkeit getrimmt : Frisuren im Wandel der Zeiten.

Ich sah die beiden Hanfseile auf mich zu, von mir weg knirschen. Versteckt unterm Fenster das geflüsterte Trillern der Schaukelnden, die sich im Idiom eines leisen Kicherns miteinander unterhielten, die Mühlgrabenbrücke als geschätzte Kulisse. Ziegen mähten Gras: »Gras! Die wippen, wir fressen. Gras!«

Die Uhr gongte eine verquaste Stunde in die Sommerluft hinein. »Gras! Die wippen, wir fressen Gras.«

GONG! Es stank plötzlich nach Zeit. Im Sommer trägt die Luft den Ton bis in den Raum, in dem man steht. Keiner weiß, was das Nichts ist. Auch das Gelächter da draußen weiß es nicht. Lachen täuscht nicht über Vergänglichkeit hinweg. Jeder Winkel negiert einen Augenblick. Das Nichts als Abwesenheit von Erinnerung.

Ich sehe aus dem Fenster, zwischen die Hanfseile hindurch, an der Linde vorbei, immer weiter über das Tal hinweg, die Schafwiese, in ein anderes Fenster hinein, vor dem zwei Mädchen an einem Baum schaukeln. Hinter dem Fenster aber herrscht Dunkelheit. Die Melancholie einer ländlichen Idylle.

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