Über Wilum Hopfrog

Obwohl ich der erste deutsche Übersetzer für W.H. Pugmire war, erschien der erste Erzählband in deutscher Sprache ohne mein Zutun unter dem Namen “Der dunkle Fremde” im Blitz-Verlag. Allerdings wies mich Wilum bereits in unseren Gesprächen darauf hin, dass eine Übersetzung auf dem Weg sei, als ich um die Einwilligung bat, eine Geschichte für die Miskatonic Avenue (Print, 2018) auswählen zu dürfen. Wilum ging dabei sogar so weit, mir zu offerieren, dass ich alles und jedes von ihm übersetzen dürfe. (Im Phantastikon habe ich mich über die von Dr. Franz Roßnagel getätigte Übersetzung ausgelassen). Als Pugmire im März 2019 starb, war diese Vereinbarung natürlich halbwegs substanzlos und ich weiß gegenwärtig nicht, wer die Rechte an seinem Werk besitzt, kann mir aber vorstellen, dass sie auf seinen Freund S.T. Joshi übergingen. Aus meinem Bestand habe ich nun “Abstieg in den lichten Schatten” für den Podcast vertont. Und es ist nicht die letzte Story, die folgen wird.

Zehn Jahre redaktionelle Misswirtschaft

Vielleicht schufte ich mich ein wenig zu Tode, zumindest sollte man nicht vier Projekte unter voller Fahrt im Alleingang auf sich nehmen, wenn – ja wenn – es weder Termine, noch Interessenten, noch überhaupt Auftraggeber gibt. Andererseits säße ich dann nur herum und würde Däumchen drehen. Eine freudiger Dank derjenigen, dessen Texte ich übersetze und sogar für den Podcast produziere, ist dann schon alles, was mich treibt. Zu wenig natürlich, um am Leben zu bleiben, vor allem, weil die übersetzten Texte ja von denen, die das interessieren würde, gar nicht gelesen oder gehört werden können. Das Phantastikon als Ganzes ist ein gewaltiger Klumpen Misserfolg. Wir sind jetzt im zehnten Jahr, da darf man zu einer Analyse ansetzen. Woran liegt es? Networking. Inhalte sind völlig schnurz, nur das Networking zählt. Das war für mich lange schwer zu begreifen. Es gibt ein Geheimnis, das Phantastikon betreffend, aber wenn ich das jemals lüften würde, würde man es entweder nicht glauben oder mich für total Verrückt halten.

Was geschah mit dem Gral?

Seit längerer Zeit habe ich nun endlich wieder eine Geschichte fertig. Tatsächlich plänkelte ich fast ein Jahr nur herum, mit der festen Absicht, das Schreiben sein zu lassen. Dann aber überkam mich die Idee, mich mehr mit dem englischsprachigen Raum auseinanderzusetzen. Ich habe doch einige Kontakte zu amerikanischen Autoren, was von meinen Übersetzungen herrührt. Man muss wohl kaum erwähnen, dass es sich mit diesen Leuten gut und zwanglos reden lässt. Deshalb habe ich nicht nur CASTRUM MONTSEGUR fertiggestellt, sondern auch gleich ins Englische Übertragen, ein echter Krampf übrigens. Dort heißt sie jedoch PONT MONTSEGUR, und ich weiß noch nicht, wem ich sie anbiete. Das gilt auch für das Original. Ich bin leider nicht so vernetzt mit anderen. Andererseits könnte sie der Auftakt zu einer neuen Sammlung sein, denn ich habe gleich DAS HAUS AM MEER überarbeitet, die wesentlich kürzer ist und lange einfach nur in der Schublade lag.

Noch etwas habe ich vor, und das betrifft DIE TIGERIN VON CACHTICE. Eine Geschichte, die sich mit Elisabeth Bathory beschäftigt. Wie bei allen meinen “historisch” motivierten Kurzgeschichten, gibt es auch hier einen “goldenen Schlüssel”, der die Überlegungen in eine andere Richtung treibt. Diese Geschichte kann ich nicht überarbeiten, ich muss sie vollständig neu schreiben. Das also ist zu tun. Was den “goldenen Schlüssel” betrifft, existiert er natürlich auch in CASTRUM MONTSEGUR. Was geschah mit dem Gral? Was ist er? Und warum wird ihn nie jemand finden?

Mummenschanz. Stück für Stück: Der Böhwind

Mummenschanz

Der Böhmwind ist eine der zentralen Erzählungen aus dem Buch, das den Arbeitstitel “Sandsteinburg” trägt, ein Buch, das ich als “absolutes Buch” angelegt habe. Um das zu erläutern, müsste ich tief in die Literaturgeschichte tauchen, was ich als sinnlos erachte. Nur so viel lässt sich sagen: es besteht aus mehr als nur seinen Teilen, die mit Karten, Essays, und allen möglichen anderen Textarten gespickt sind.

In vielen meiner Erzählungen taucht der Begriff “Raha” auf, einer mysteriösen Stadt in einer anderen Dimension. In der uns bekannten Welt liegt unter der Glocke Rahas das Fichtelgebirge mit seinem Hauptschauplatz Schwarzenhammer.

Mummenschanz. Stück für Stück: Spintisera

Mummenschanz

Obwohl dies hier nur ein relativ kurzer Text ist, muss ich doch einiges dazu anmerken. Nicht nur ist es das letzte Stück, das ich für die Sammlung schrieb, es zeigt auch gleichzeitig die Tendenz meiner gegenwärtigen Arbeit. Müsste ich sie beschreiben, würde ich sie als Kristallisation bezeichnen. Ausgehend von einem einzigen Gedanken folgt man diesem in seiner möglichen Konsequenz, die wiederum ganz unterschiedlich aussehen kann. Das wirkt nicht selten surreal und ist es insofern tatsächlich, weil es die Wahrnehmung verschiebt und Unmöglichkeiten einbezieht. Es mag wie eine Spielerei aussehen, doch ich meine das ganz ernst. Mit dem Spruch alles wurde bereits erzählt kann ich deshalb nichts anfangen, weil er ganz einfach falsch ist. Es ist unwichtig, was man erzählt. Das Wie ist maßgeblich.

Mummenschanz. Stück für Stück: Der Abgrund

Mummenschanz

Wie viele meiner Geschichten hat auch diese eine Odyssee hinter sich. Tatsächlich arrangiere ich meine Texte so oft um, bis vom Ursprung nichts mehr übrig ist. Manchmal dauert dieser Prozess zehn Jahre oder länger. Da ich sehr viel schreibe (und wenig veröffentliche), spielt das keine erhebliche Rolle. Nahezu alles, was ich in fast 40 Jahren zu Papier gebracht habe, bedingt sich gegenseitig. Meine Figuren sind – wie meine “Gespenster” – Aspekte von etwas oder von jemandem, doch im Grunde erfinde ich sie nicht. Der Protagonist dieser Erzählung ist der Aspekt meines Urgroßvaters, der im 1. Weltkrieg das Schlachtfeld von Ypern überlebte, Ehemann der Johanna, die im “Böhmwind” die erste Sturmwolke nahen sieht, Vater des Carlos und Großvater des Noob in “Dorothea” und Erzähler einer Geschichte, die noch nicht veröffentlicht wurde. Vielleicht ist das hier eine existentielle Parabel – eigentlich ein Begriff, den ich ablehne. Aber man wird mir vielleicht zustimmen.

Mummenschanz. Stück für Stück: Die Gasse der sprechenden Häuser

Mummenschanz

Ursprünglich hatte ich die Idee, tatsächlich eine ganze Gasse zu illuminieren, in der sich eine Häuserfamilie niedergelassen hat, Spukhäuser allesamt, die ihre eigenen Geschichten zu besten geben. Man wird unschwer erkennen, dass aus dem Vorhaben nichts wurde – zumindest ist das für eine kürzere Geschichte ein zu großes Unterfangen. Von allen haunted places ist mir das Spukhaus der liebste verwunschene Ort. Schließlich erinnerte ich mich an die pilzbefallene Wand in der Küche meiner Großeltern, die zum Fluss hin ragte und so gut wie nie trocken zu bekommen war. Meine Großmutter starb, mein Großvater zog aus, und für ein paar wenige Monate bewohnte ich mutterseelenallein den Ort, an dem ich aufgewachsen war. Dies war die Geburtsstunde eines Schriftstellers, wenn man so will. Die Stimmen der Nacht waren so laut, dass ich erst schlafen konnte, wenn sich die Sonne sehen ließ. Wie hätte ich meine Nächte anders zubringen können als im Zwiegespräch mit dem Unbekannten?

Mummenschanz. Stück für Stück: Vampyradonna

Mummenschanz in großen Hallen

Eine Vampirgeschichte zu schreiben kam für mich gar nicht infrage, also habe ich hier etwas anderes gemacht. Vampyradonna gehört zu meinen – wirklich zahlreichen – Flash Fiction-Texten. Ich bin mir nicht immer sicher, was das Konzept meiner Erzählungen betrifft, aber ich glaube, dass ich die kurze Form perfekt beherrsche. Leider spielt sie keine große Rolle bei den Lesern, weshalb ich die Gunst der Stunde nutzte, sie in den Erzählband hineinzumogeln. Das habe ich sogar noch einmal gemacht, bei Spintisera und Antic Soccer. Der Text hat vielleicht einen Hauch der Fabel um den Frosch und den Skorpion, allerdings innerhalb einer – nun ja – leidenschaftlichen Beziehung; aber er geht am Ende doch etwas darüber hinaus.

Sprache und Nichtsein

Es ist mir die Sprache das einzige Transportmittel, um in Regionen vorzustoßen, um die man kaum mehr zu kreisen wagt. Dazu aber muss eine bloße Erzählhaltung aufgegeben werden, die so sehr unsere Sinne beeinflusst und in den meisten Fällen auch einengt, wie alles, was man Gegenwart nennt. Nun ist Gegenwart nichts Endgültiges, man kann sie jederzeit verlassen, um sich außerhalb der Zeit zu positionieren, womit aber gleichzeitig auch die Schwierigkeit beginnt. Die Existenz ist ein Schreckenskabinett, und das war sie von Anfang an; tatsächlich wäre es besser, nicht zu existieren, wie Silenos, der Erzieher des Dionysos, es seinem Schützling gegenüber erwähnte. Drängt alles zum Leben hin, um gewesen zu sein? Oder wird das, was nicht ist, aus einem unbekannten Grunde dazu ermuntert, eines Tages zu sein, so dass alles irgendwann gewesen ist? Oder kann das Nichtsein nur daran gemessen werden, dass eines Tages einmal alles war? Diese Fragen sind der Sprache immanent.

Mummenschanz. Stück für Stück: Mummenschanz in großen Hallen

Mummenschanz in großen Hallen

Wortkompositionen sind manchmal die Keimzelle für ein bestimmtes Gefühl, mit dem ich arbeite. Ich habe sehr viele linguistische Spielerein produziert, und dadurch wurde mir im Laufe der Zeit der Titel oft genauso wichtig wie der folgende Textkörper. Für Mummenschanz in großen Hallen war einmal mehr die Idee der Vergänglichkeit (oder besser gesagt die Idee des Wandels) verantwortlich, aber zu Beginn stand das Wort “Mumpenzimmer”. Das Wort “Mumpe” ist ein Kofferwort aus “Microballons” und “Pampe” und bezieht sich auf einen Füllstoff. Allerdings wusste ich davon nichts. Mir ging es darum, einen Raum zu benennen, in dem die Seelen ausrangierter Dinge landen. Es ist ein Spiel mit der Transformation, die eigentlich von Platons Ideenlehre abstammt, natürlich indem ich ihm widerspreche. Selbstverständlich ist ein Knopf ein Knopf und wird nie etwas anderes sein. Anders wie etwas Platons “Knopfheit” aber gibt es bei mir die Progression der Bestimmung. Einfach ausgedrückt: ein Knopf mag eine Weste schließen, aber in meinen großen Hallen kann er vielleicht irgendwann dasselbe mit einer Türe tun. Darum geht es freilich nicht alleine, aber ich werde einen Teufel tun, irgendeine Interpretation zu liefern. Ich gehöre zu jenen Autoren, die keinen Anspruch auf die Deutung eines Werkes geltend machen, sobald es in die Öffentlichkeit gelangt ist. Ich habe oft genug dem Raunen der Interpreten zugehört und mich gewundert, aber es war vielmehr ein Staunen.

Wir müssen uns den Begriff Mummenschanz noch etwas genauer ansehen. Nicht, dass jedem klar sein dürfte, dass er mit Verkleidung und Maskerade zu tun hat, schließlich mit dem Vermummen und Verhüllen. Aber obwohl deutsche Quellen aus dem 16. Jahrhundert auf den Karneval hinweisen, bei dem maskierte Personen von Haus zu Haus gingen und ein Würfelspiel an der Türe anboten, wurde der Mummenschanz bereits im 18. Jahrhundert nur noch mit harmloser Verkleidung in Verbindung gebracht (so sicher war das eigentliche Würfelspiel nämlich nicht, man konnte natürlich alles gewinnen, aber man konnte eben auch alles verlieren.)

Die eigentliche Wurzel finden wir in der griechischen Mythologie, wo Momus die Personifikation der Satire und des Spottes ist. Als scharfzüngiger Geist, der ungerechte Kritik übte, wurde Momus schließlich aus der Gesellschaft der Götter des Olymp verstoßen. Hesiod sagte, dass Momus ein Sohn der Nacht (Nyx) war.